Carecamp Demenz 2016 in Salzburg
Das Carecamp Demenz fand von 12. bis 13. September 2016 in Salzburg statt.
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Vizebgm. Anja Hagenauer mit den Mitinitiatorinnen des Carecamps, Dorothee Glöckle (li.) und Sonja Schiff (re.)

Carecamp Demenz 2016 in Salzburg

Am 12. und 13. September 2016 lud die Stadt Salzburg gemeinsam mit den Initiatoren der Arge Carecamp ins ABZ Itzling zur vierten Ausgabe des Carecamps. Dabei ging es um ein Kernthema: Demenz. Eine Krankheit, die mittlerweile rund 10.000 Salzburgerinnen und Salzburger direkt betrifft und sich rasant ausbreitet. Ob jung oder alt, viele unserer Mitmenschen haben damit zu kämpfen oder werden damit in Zukunft konfrontiert.

Sonja Schiff, Mitverantwortliche des Carecamps und seit vielen Jahren aktiv in der Pflege und Erforschung von Demenz, und ihre Kolleginnen und Kollegen wollen neue Ansätze finden, um der Krankheit zu begegnen, sie nicht ständig als Ballast und nerviger Wegbegleiter für Angehörige abzuschreiben. Die Vizebürgermeisterin Salzburgs, Anja Hagenauer, die durch ihren Einsatz ein erneutes Stattfinden erst ermöglicht hat, weiß: „Beim Tabubrechen ist Sonja Schiff Weltmeisterin. Auch wir wollen mit Tabus brechen, mit Gesundheits- und Sozialeinrichtungen sprechen, um Weg vom bisherigen Denken zu führen.“

 

Tabus brechen steht an erster Stelle

Um ein gelungenes Rahmenprogramm zu schaffen, wurde die Veranstaltung in Form eines Barcamps abgehalten, zu der sich 120 Frauen und Männer aller Altersgruppen anmeldeten. Bei einem solchen Camp geht es vor allem ums aktive Mitdiskutieren. Hier gibt es nicht, wie auf sonstigen Tagungen üblich, auf der einen Seite Zuhörende und auf der anderen Referierende, sondern ausschließlich TeilnehmerInnen. Jede und jeder Anwesende ist auch Expertin beziehungsweise Experte und kann selbst maximal einstündige sogenannte „Sessions“ anbieten. Im Mittelpunkt des Informationsaustauschs steht die Diskussion. Die Beiträge sind kurz, Gespräche danach dafür umso länger und intensiver. In Workshops können zudem Methoden im Umgang mit der Krankheit kennengelernt werden. Aus „Bar“ wird in diesem Zusammenhang „Care“ – Pflege, das Kernthema der Veranstaltungsserie.

Im freundlichen Eingangsbereich des ABZ warteten informative Stände auf die Gäste. Rege diskutiert wurde nebenbei über Neuigkeiten, Entwicklungen und Forschungen, um lustige und ernste Themen. Um 13 Uhr gab es dann die Begrüßung durch Sonja Schiff und Mitinitiatorin Dorothee Glöckle, die mit „3 Tags“ aufwarteten. In dieser Vorstellrunde sollte sich jeder Anwesende mit drei fiktiven Suchbegriffen beschreiben – Schmunzler inklusive.

Jede Menge Informationsmaterial gab es für die Teilnehmerinnen.

Jede Menge Informationsmaterial gab es für die Teilnehmerinnen.

 

ExpertInnen berichten

Um erste Anstöße zu geben, wurden drei Experten aus dem benachbarten Ausland eingeladen. Während Helga Rohra, selbst Demenzpatientin und Autorin zahlreicher Bücher zu diesem Thema, und Erich Schützendorf, der Menschen mit Demenz aus einem anderen Blickwinkel beleuchten möchte, am Montag referierten, zog Michael Schmieder am Dienstag mit seinen Modellen zur Betreuung Betroffener nach. „Wir sehen die ReferentInnen als Impulsgeber für die weitere Diskussion“, erläutert Schiff diese Form der Informationsvermittlung, die für Barcamps eigentlich untypisch ist. „Es geht nicht darum, als Experte herauszustechen. Uns ist wichtig, dass sich auf gleicher Ebene begegnet wird.“

Vizebgm. Anja Hagenauer mit Erich Schützendorf

Vizebgm. Anja Hagenauer mit Erich Schützendorf.

„Das Carecamp Demenz ist ein Baustein von vielen, um die Stadt Salzburg demenzfreundlich zu machen!“

Anja Hagenauer, Vizebürgermeisterin und Mitinitiatorin des Projekts

 

In den drei zur Verfügung gestellten und von der Stadt Salzburg, der Salzburger Sparkasse und der Initiative „Konfetti im Kopf“ betreuten Räumen konnten alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer außerdem ihre Herzensthemen vorstellen und im kleineren Rahmen mit jeweils rund 30 Interessierten besprechen. Diese sogenannten Sessions beinhalteten ein breites Angebot und Themenspektrum. Von neuartigen Pflegeeinrichtungen über den Zugang zur Krankheit bis hin zu Erotik im vorangeschrittenen Alter konnten so die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihr Wissen erweitern und auffrischen. Als Konsens galt: Ja, wir sind dement – aber wir sind nicht bescheuert! „In meinem ersten Interview habe ich gesagt: Ich bin dement, na und? Ich will dazugehören mit dem, was ich noch kann“, meint auch Helga Rohra, die selbst vor einigen Jahren die Diagnose Demenz erhielt.

 

Doch wie kann dem im ersten Augenblick hochkomplexen Thema entgegengewirkt werden? „Es gibt eine funktionierende, exzellente Altenbetreuung in der Stadt Salzburg“, weiß Hagenauer. „Warum nicht genau dort ansetzen, um eine demenzfreundliche Pflege zu gewährleisten?“ Einen großen Anteil tragen hierzu auch die Lokal- und Geschäftsbetreiber der Stadt. Diese sollten den Betroffenen zuhören, darauf eingehen, was diese für ein angenehmes und normales Leben benötigen. Laut Rohra sind das unter anderem „Bereiche, in denen sich auch Demente und Alte wohl fühlen.“ Denn im Endeffekt geht es nur um eines: Netzwerke zu bilden. Netzwerke aus Entscheidungsträgern, Akteuren und Betroffenen, um so eine demenzfreundliche Stadt und ein für alle tragbares Miteinander auf Augenhöhe bieten zu können.

 

Hausgemeinschaften in Seniorenheimen, richtige Pflege, geschultes Personal – der Weg ist das Ziel

Erste Schritte in diese Richtung hat Bernhard Kracher mit seinem Team durch die Erschaffung von sogenannten Hausgemeinschaften gemacht. Bei diesem Konzept sollen pflegebedürftige Mitmenschen gemeinsam mit Menschen mit Demenz in einem Altersheim ihrem Alltag nachgehen. Gemeinsames Kochen, Gartenarbeit und miteinander sprechen – das sind die Grundkomponenten dieses Konzepts. Wichtig sind geschultes Personal und der Wille der Angehörigen, neue Ansätze zu akzeptieren. Doch: „Angehörige haben ein erfolgs- und strategieorientiertes Denken. Genau das ist die Schwierigkeit“, erklärt Kracher. Der Erfolg dieses Projekts lässt sich aber bereits jetzt im Seniorenwohnheim Hellbrunn erkennen. Nun sollen Nonntal, Itzling und Liefering nachziehen – sie stehen bereits in den Startlöchern. Dass hierbei Anlaufschwierigkeiten zu erwarten sind, glaubt niemand: Es kommt nur auf die Chemie zwischen Pflegenden und Demenzkranken an.

: Seniorenheim Hellbrunn-Bereichsleiter Bernhard Kracher stellte in seiner Session das Konzept „Hausgemeinschaften“ vor

Seniorenheim Hellbrunn-Bereichsleiter Bernhard Kracher stellte in seiner Session das Konzept „Hausgemeinschaften“ vor.

Betroffener berichtet über die täglichen Herausforderungen

Äußerst emotional und ebenso informierend gestaltete auch Manfred Fischer seine Session. Der Ehemann einer demenzkranken Frau pflegt seine Karin seit vielen Jahren. Sie spricht nicht mehr, ist aber dennoch merklich glücklich: „Depressivität und Aggressivität führe ich auf falsche Pflege zurück. Dass meine Frau weiterhin glücklich ist, ist mein größter Erfolg“, sagt Fischer. Sein Geheimrezept: „Keinen Rucksack mitnehmen, alles vorher klären!“

Gemeinsam wurden viele neue Aspekte herausgearbeitet, gemeinsam wurde darüber diskutiert. In einem Punkt sind sich jedoch die meisten der Teilnehmenden einig gewesen: Die aktuellen Umstände entsprechen nicht dem, wie es sich Betroffene wünschen würden. „Wir brauchen am Anfang Empathie, Verständnis und Zeit, nicht nur verschriebene Medikamente. Danach braucht es geschulte, qualifizierte Ärzte, die uns ganzheitlich sehen und verstehen“, meint etwa Rohra, und stößt damit eine neue Tür auf. Erich Schützendorf stellte sein Konzept des „Anderlands“ vor: „Stellt man sich Demente als Kranke vor, merkt man schnell: Das ist nicht heilbar. Man kann sie sich aber auch als Reisende vorstellen. Als Reisende in ein Land voller Gefühle, mit völlig anderen Sitten und Gebräuchen.“

: Expertin Helga Rohra bat die Betroffenen Manfred und Karin Fischer auf die Bühne

Expertin Helga Rohra bat die Betroffenen Manfred und Karin Fischer auf die Bühne.

Demenzfreundliche Stadt Salzburg

Anja Hagenauer, die sich in viele Diskussion sehr aktiv einbrachte, und der das Thema sichtlich wichtig ist, macht mit ihrem Engagement auf ein großes Problem aufmerksam: „Wir sehen immer nur, was die Kranken nicht können, und vergessen, was sie noch können. Das Carecamp Demenz ist ein Baustein von vielen, um die Stadt Salzburg demenzfreundlich zu machen!“ Mit der Initiative „Konfetti im Kopf“ steht die Stadtverwaltung der Veranstaltung auch mit einer eigenen Plattform zur Seite. „Konfetti im Kopf“ ist eine in Deutschland im Jahr 2007 gestartete Demenz-Initiative, welche die motivierende Kraft von Kunst, Kultur und Begegnung nutzt, um den Alltag Demenzkranker zu verbessern. Kampagnen, ungewöhnliche und nachhaltige Aktionen sollen die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisieren.

 „Wir wollen neue, bunte Bilder schaffen, um weg von der Tragik, der negativen Assoziation zu kommen.“

Michael Hagedorn, Gründer Konfetti im Kopf

 

Auch Salzburg hat sich dieser Initiative angeschlossen und ist damit Vorreiter in Österreich. „Wir wollen die Inklusion der Menschen mit Demenz in der Stadt Salzburg und sie nicht ausschließen vom Leben in der Stadt.“, meint Hagenauer, die auch Initiatorin des Projekts Demenzfreundliche Stadt Salzburg ist. Eine der zahlreichen Sessions wurde vom Gründer von Konfetti im Kopf abgehalten. Michael Hagedorn sprach dabei vor allem die Hintergedanken des Projekts an und erklärte: „Salzburg ist weltbekannt. Aber es ist auch klein genug, um nicht nur an der Oberfläche arbeiten, sondern ganz tief in die Einrichtungen und demenzfördernde Programme hineinblicken zu können.“

: „Dement, aber nicht bescheuert“: Die Stadt Salzburg macht gemeinsam mit dem Carecamp auf das Tabuthema Demenz aufmerksam.

„Dement, aber nicht bescheuert“: Die Stadt Salzburg macht gemeinsam mit dem Carecamp auf das Tabuthema Demenz aufmerksam.

 

In der Stadt Salzburg geht man aktuell von rund 3.000 Demenzerkrankten aus – mit den Angehörigen sind rund 10.000 Menschen davon betroffen. ExpertInnen schätzen, dass sich die Zahl der Erkrankungen bis 2050 verdoppeln bis verdreifachen wird. Diese Entwicklung ist eine Herausforderung für das Gemeinwesen der Stadt Salzburg. Um barrierefreies Leben Demenzkranker zu gewährleisten und eine demenzfreundliche Stadt aufbauen zu können, bedarf es eines Netzwerks aus Information und Partizipation, welches durch die Zusammenarbeit mit „Carecamps“ geschaffen wird. Wichtiger Partner sind auch die Salzburger Apotheken mit ihrer Initiative „Demenzfreundliche Apotheke Stadt Salzburg“.